Und es hat „Määäääääh!“ gemacht

100 Augen richten sich auf uns, als die Autotür zuschlägt. 100 Ohren spitzen sich, 200 Beine stemmen sich in den Boden: Wer kommt da? Mein Sohn und ich fühlen uns beobachtet, wie Eindringlinge in ein geschlossenes Territorium kommen wir uns vor. Wir sind beim Waldziegenhof der Familie Mareth in Ziertheim und die 50 Thüringer Waldziegen, die dem Hof seinen Namen geben, stempeln uns beim ersten Anblick als Fremde ab. Wir rufen ein zaghaftes „Hallo!“ in ihre Richtung und freuen uns, als uns Monika Mareth entdeckt und in den zum Hof gehörenden Laden führt.

Ich liebe Ziegen. Wo immer ich eine sehe, muss ich anhalten und sie zumindest ansehen. Ganz erklären kann ich mir das nicht. Vielleicht liegt der Grund dafür in den neugierig glänzenden Augen dieser zutraulichen und geselligen Tiere. Oder an der gefühlten Seelenverwandtschaft zwischen Charakterköpfen. Wie konnte es dazu kommen, dass die sympathischen Kletterprofis als Nutz- oder Haustiere bei uns kaum noch eine Rolle spielen? Jürgen Mareth weiß die Antwort darauf.

„Noch in der Nachkriegszeit hielten sich viele Menschen in Deutschland Ziegen zur Selbstversorgung mit Milch, Käse, Fleisch oder Fellen“, erzählt der umtriebige Landwirt. „Mit dem Wirtschaftswunder und dem Beginn der Industrialisierung wuchs die Nachfrage nach Lebensmitteln, vor allem nach Fleisch und Milchprodukten. Diese Nachfrage konnte letztlich nur noch Massentierhaltung befriedigen. Die Haltung und Zucht von Schweinen, Rindern oder Geflügel war dabei wesentlich rentabler für die Landwirte. Bald lohnte es sich dann auch nicht mehr, die vielen verschiedenen Ziegenrassen in eigenen Herdbüchern zu erhalten. Die farbigen Rassen wurden nach und nach im Herdbuch zur „Bunten deutschen Edelziege“ zusammengefasst. Wie ich finde ein großer Verlust für die Vielfalt der ursprünglich vorhandenen Rassen.“

 

Thüringer Waldziegen
Ziegen sind neugierige Tiere und nutzen jede Möglichkeit zum Klettern

Ziegen statt Kühe – Umorientierung zahlt sich aus
Als die Mareths 2002 einen Resthof im bayerischen Ziertheim kauften, hatten sie ihre anfängliche Idee, in die Milchviehhaltung einzusteigen, bereits aufgegeben. „Da es für einen Nicht-Landwirt fast unmöglich ist, eine Milchviehhaltung neu aufzubauen, haben wir uns umorientiert,“ erzählt Monika Mareth. „Wir hatten damals schon ein paar Ziegen und stießen nach dem Kauf unseres Hofs zufällig auf die Thüringer Waldziege.“ Die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Nutztierrassen (GEH) hatte zu diesem Zeitpunkt gerade die Thüringer Waldziege zu ihrem „Tier des Jahres“ deklariert. Die Mareths entschieden sich ohne großes Zögern für die vom Aussterben bedrohte Rasse, da diese für ihren von Anfang an ökologisch betriebenen Hof am besten geeignet war. Das Hauptzuchtgebiet für die Thüringer Waldziege liegt bis heute – wie der Name schon sagt – in Thüringen. Die ersten fünf Ziegen erwarben die Mareths in Niedersachsen.

Was folgte, war der Ausbau des ehemaligen Kuhstalls zur Käserei. Dort stellt Monika Mareth aus der Milch ihrer Ziegen insgesamt 15 Käsesorten her. Die Vermarktung erfolgt im Direktvertrieb auf Wochen- und Bauernmärkten oder seit 2015 im eigenen Hofladen. Daneben werden ausgewählte Hofläden in der Region beliefert.

„Der Laden läuft“, können die Mareths nach mittlerweile 15 Jahren Arbeit auf ihrem Waldziegenhof sagen. Er läuft deswegen, weil sie von Anfang an auf Bio setzten und weil sie bei der erreichten Größe ihres Betriebs sowie der Direktvermarktung bleiben wollen. „Wir sind ein Familienbetrieb und möchten von Händlern oder Läden nicht abhängig sein“, so Jürgen Mareth. „Außerdem haben wir nur so den direkten Kontakt zu unseren Kunden und erhalten von ihnen Rückmeldungen. Das ist uns sehr wichtig.“

Waldziegenhof Ziertheim
Hier wird gemolken …
Waldziegenhof Ziertheim
… und hier kommt die Milch hinein, bevor sie in der hofeigenen Käserei verarbeitet wird.

Beruf und Berufung – damit die Arbeit Spaß macht
Jürgen Mareth kümmert sich um das Futter für die Ziegen, den Stall und alle anderen landwirtschaftlichen und handwerklichen Tätigkeiten auf dem Hof. Monika Mareth ist die Chefin in der Käserei. Auf den Märkten sind beide abwechselnd präsent, unterstützt durch einige Helfer.

Ein wenig Glück war aber auch im Spiel, damit der Betrieb schnell profitabel wurde: Seit Ende der 90-er-Jahre verzeichnet die Ziegenzucht und –haltung wieder eine positive Entwicklung. Und genau zu dieser Zeit starteten die Mareths mit dem Waldziegenhof. Bei den Kunden kommen das Hofkonzept und natürlich die leckeren Ziegenkäse sehr gut an.

Trend zu ökologischer Landwirtschaft hält an
So etwas motiviert wiederum andere: „Mittlerweile verkaufen wir ungefähr 30 Jungziegen im Jahr an andere Höfe“, sagt Jürgen Mareth. „Oft sind es neue Höfe.“ Trotzdem schätzt er die Anzahl neu eröffneter Ziegen-Betriebe in Bayern auf nicht mehr als zehn pro Jahr. „Es verschwinden definitiv mehr Höfe jedes Jahr, als neue dazukommen.“ Eine Umkehr dieser Entwicklung scheint nicht in Sicht.

Es bleibt zu hoffen, dass in den nächsten Jahren ein Strukturwandel in der Landwirtschaft weg von Massenerzeugnissen und wieder hin zu kleineren, persönlicheren und nachhaltig betriebenen Höfen stattfindet. Der Ruf nach solchen Betrieben wird zumindest schon immer lauter in der Gesellschaft.

Ich selbst warte auf den Moment, an dem ich ein geeignetes Grundstück für meine eigene kleine Ziegenherde finde. Dann kaufe ich der Familie Mareth ein paar Zicklein ab oder ermögliche es den altgedienten Milchlieferantinnen, ihren Lebensabend bei mir zu verbringen. Bis es soweit ist, genieße ich den leckeren Käse und den Anblick der Ziegen auf dem Waldziegenhof.

Thüringer Waldziege
Bin ich nicht schön?

 

 


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