Nachdem es einige Zeit sehr still war um altbekannte Werte, diese beinahe schon Relikte aus den Erinnerungen von Greisen und Altvorderen zu sein schienen, erleben Respekt, Achtsamkeit oder Rücksicht nun eine Renaissance. Jedoch weniger im Privaten, wo solche Tugenden eigentlich seit jeher von Generation zu Generation weitergegeben wurden und dafür sorgen, dass Gemeinschaften miteinander auskommen. Nein: Rufe nach Respekt, Rücksichtnahme und Anstand erschallen vermehrt und immer lauter aus den Zentralen der Konzerne. Gerade dort, wo man es am wenigsten vermuten würde, ist Rücksichtnahme der Trend der Stunde.
Wenn Sie das nächste Mal Zeitung lesen, dort ein Unternehmensbericht oder ein Interview mit einem Top-Manager ihre Aufmerksamkeit anzieht, dann achten Sie doch einmal darauf, was oder wen das Unternehmen jetzt oder künftig so alles berücksichtigt. Die weltweite Wirtschaftslage bei der Aufstellung der Unternehmensstrategie für das nächste Jahrzehnt? Die Bedürfnisse der Kunden bei der Entwicklung neuer Produkte? Die Anforderungen der Gesetzgeber, wenn es um die Einhaltung von Normen und Regeln geht? Die Belange der Lieferanten und Zulieferer? Den Lebensraum der vom Aussterben bedrohten Würfelnatter bei der Erschließung neuer Produktionsstätten? Oder sogar die Wünsche und Vorlieben der Mitarbeiter, indem man biologisch-vegane Mahlzeiten in der energieeffizienten Kantine und Rund-Um-die-Uhr-Kinderbetreuung im firmeneigenen Hort anbietet?
Und – fällt Ihnen was auf?
Es ist zu viel. Und damit wird es unglaubwürdig. Wo ist das Unternehmen, das ehrlich zugibt, Profit machen zu wollen und zu müssen? Warum muss ein klares Ziel wie Gewinnerreichung oder -erzielung so häufig verschleiert werden, indem man zu Werten greift, die in der Kapitalwirtschaft fehl am Platz sind? Wieso herrscht die gängige Meinung, jede noch so kleine Anstrengung hin zu einem „guten“ Unternehmen gleich ausufernd kommunizieren zu müssen? Sollen damit die Bedürfnisse der zahlreichen Anspruchsgruppen berücksichtigt werden?
Rücksicht sollten wir alle nehmen. Täglich. In einem angemessenen Ausmaß. Durch zu wenig Rücksichtnahme gilt man als Egoist und kaltherziger Mensch, durch zu viel als katzbucklerischer Diener ohne Rückgrat. Diese Balance gilt beim Miteinander und Teamwork in den Unternehmen und Betrieben genauso wie in der Freizeit, beim Sport oder in der Familie. Es ist nicht altmodisch, alten Menschen einen Sitzplatz im Zug oder Bus anzubieten, einer Frau mit Kinderwagen die Tür aufzuhalten oder schlicht leise zu sein, wenn andere konzentriert arbeiten. Im Gegenteil: es zeigt, dass ich die Bedürfnisse meines Gegenübers bewusst wahrgenommen habe. Die Tugend Rücksicht auf diese Art wiederzubeleben, kann für alle nur Gewinn bringend sein.
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